Architektur - Sprache
Kohärenz oder doch Differenz?
Created Jan 20, 2025 - Last updated: Jan 20, 2025
Im Jahr 2024 hatte ich das Vergnügen, an Jurysitzungen teilzunehmen zu dürfen. Dabei fiel mir auf, wie unterschiedlich Fachpreisrichter:innen (Architekt:innen) und Sachpreisrichter:innen Projekte bewerten. Erstere verwenden für Außenstehende oft eine verwirrende Sprache, den sogenannten „Architektur-Sprech“.
Kann es sein, dass diese Art der Architekturbeschreibung nur wenig mit der (gebauten) Realität zu tun hat? Im Unterschied zu vielen anderen Fachdisziplinen kann und soll jede:r eine Meinung zur gebauten Umwelt haben. Ist somit die Sprache der Architekt:innen bloß ein Versuch, die eigene Kompetenz zu betonen?
Anbei ein Auszug der Begriffe, die in der Architekturwelt Verwendung finden:
- Kohärenz
- Raum aufspannen (oder: „Einen Raum aufspannen“)
- Programmierung im Erdgeschoss
- Zonierung
- Nimmt die Achse auf und lenkt sie um
- Versetzte Volumina
- Gründerzeitliche Höhenentwicklung
- Gelenkwirkung
- Zentrale Mitte
- Pufferraum
- Schichten
- Silhouettenbildung
- Freiraum fassen
- Orientierung
- Implantate
- Platzaufweitung
- Vielschichtig gestaltet
- Runde Mitte
- Einladende Geste
- Landeplätze
- Stringente Aussage
- Verhältnismäßigkeit zum Grundriss
- Optische Annäherung an einen Übergang
- Ankommensraum
- Richtung
- Gute Dimensionierung
- Versucht, eine Maßstäblichkeit einzuführen
- Frage der Dimensionierung
- Vermittlergebäude
- Reparabel
- Kohärenz und Differenz
- Schafft unterschiedliche Raumsituationen
- Die Geste des Zurückspringens
- Architektonisch gesetzt
- Gewisse Maßstäblichkeit, doch städtisch
- Großstadträumlich gedacht
- Gefasst
- Umgang mit der Formgebung
- Heterogene Bebauung
- Ausrinnen
- Die Achse muss gefasst werden und einen Durchblick gewähren, sonst rinnt es aus.
- Unterschiedlich gewichtete Elemente
- Müsste spezifischer reagieren
- Einigkeit der Baukörper
- Nischenräume
- Fließende Dachlandschaft um die Hochpunkte
- Durch die Amöbenhaftigkeit verwischt es dann.
- Inhaltlicher Widerspruch
- Großzügigkeit hat eine formale Qualität
- Mehrfachnutzung
- Vermittlung
- Eigenständigkeit
- Verzahnung
- Formale Kohärenz
- Konzeptuell
- Klare Platzform
- Unterschiedliche Raumqualitäten
- Antimonumental
- Schicht (bzw. „Schichten“ oder „Schichtung“)
- Pixelierung in der Granularität
- Monumentalität des Trivialen
- Menschlichen Maßstab einhalten
- Elastizität
So sieht das Ganze dann aus:
Fiktive Architekturkritik zum städtebaulichen Wettbewerbsbeitrag
Das prämierte Wettbewerbsprojekt überzeugt zunächst durch seine Kohärenz, da es gelingt, einen homogenen städtebaulichen Raum aufzuspannen. Bereits in der Programmierung im Erdgeschoss zeigt sich eine kluge Zonierung, die vor allem dadurch besticht, dass sie die Achse aufnimmt und lenkt sie um, während versetzte Volumina die gründerzeitliche Höhenentwicklung aufnehmen. Durch diese Maßnahme entsteht eine Gelenkwirkung, die eine zentrale Mitte prägt. Gleichzeitig fungiert ein Pufferraum als Übergang zwischen öffentlichem und privatem Bereich, während unterschiedliche Schichten die Silhouettenbildung unterstützen. Ein besonderes Augenmerk liegt darauf, den Freiraum zu fassen und die Orientierung zu verbessern. An markanten Punkten fungieren bewusst gesetzte Implantate, die für eine Platzaufweitung sorgen und das Quartier vielschichtig gestalten. Ein Highlight ist die runde Mitte, die mit einer einladenden Geste als verbindendes Zentrum funktioniert und sogar Landeplätze für urbane Mobilitätskonzepte vorsieht. Trotz dieser stringenten Aussage wahrt das Projekt die Verhältnismäßigkeit zum Grundriss und erzeugt eine optische Annäherung an einen Übergang, indem ein klar definierter Ankommensraum die Richtung vorgibt.
Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass die Architekt:innen auf eine gute Dimensionierung setzen, indem sie versuchen, eine Maßstäblichkeit einzuführen. Dennoch stellt sich an einigen Stellen die Frage der Dimensionierung, insbesondere im Hinblick auf ein potenzielles Vermittlergebäude, das jedoch als reparabel erscheint. Der Entwurf spielt gekonnt mit Kohärenz und Differenz, indem er unterschiedliche Raumsituationen schafft und sich zugleich durch die Geste des Zurückspringens von benachbarten Strukturen abhebt. Diese architektonisch gesetzte Entscheidung führt zu einer gewissen Maßstäblichkeit, doch städtisch bleibt das Ensemble dennoch, vor allem dank der großstadträumlich gedachten Blockränder. Die Plätze wirken gefasst, was den Umgang mit der Formgebung unterstreicht. Allerdings kann an einigen Stellen eine heterogene Bebauung zu einem unerwünschten Ausrinnen führen: Die Achse muss gefasst werden und einen Durchblick gewähren, sonst rinnt es aus. Außerdem sind unterschiedlich gewichtete Elemente zu erkennen, die müssten spezifischer reagieren, um eine Einigkeit der Baukörper zu betonen. In Nischenräumen zeigt sich eine fließende Dachlandschaft um die Hochpunkte, doch durch die Amöbenhaftigkeit verwischt es dann teils.
Hier offenbart sich ein inhaltlicher Widerspruch: Einerseits soll eine Großzügigkeit mit formaler Qualität entstehen, andererseits ist eine Mehrfachnutzung angestrebt, die eine Vermittlung zwischen öffentlicher und privater Sphäre vorsieht. Trotz dieser Herausforderungen überzeugt der Entwurf insgesamt durch seine Eigenständigkeit und die gelungene Verzahnung der Baukörper, was eine formale Kohärenz erkennen lässt. Konzeptuell basiert das Projekt auf einer klaren Platzform, die unterschiedliche Raumqualitäten bietet und sich antimonumental präsentiert. Zugleich verdeutlichen einzelne Schichten der Fassade eine subtile Pixelierung in der Granularität, die eine Monumentalität des Trivialen erzeugt. Dabei wird konsequent der menschliche Maßstab eingehalten, was dem Entwurf eine gewisse Elastizität in Bezug auf wechselnde Nutzungsanforderungen verleiht.